11.12.2025

Von der Astrophysik zur KI-gestützten Hautforschung

Schätzungen zufolge gibt es knapp eine Quadrilliarde Sterne im sichtbaren Universum – das ist eine Zehn mit 24 Nullen. Allerdings ist das lediglich eine Hochrechnung, da selbst modernste Technologien nicht in der Lage wären, alle Sterne einzeln zu zählen. Was aber solch eine kaum vorstellbare Fülle deutlich macht: Für Wissenschaftler*innen bietet dieses Feld nahezu unendliche Möglichkeiten, Neues zu entdecken. Auch Maria del Pilar Bonilla Tobar, genannt Pilar, gehört zu jenen neugierigen Menschen, die stets auf der Suche nach validen Antworten auf spannende Fragen sind. Die Ausbildung der gebürtigen Kolumbianerin würde man vermutlich nicht sofort mit Beiersdorf in Verbindung bringen: Pilar ist die einzige Astrophysikerin in der Hautforschung, die mithilfe riesiger Datensätze und KI die Geheimnisse der Haut ergründet. Vor über zehn Jahren übernahm sie die erste ausgeschriebene Stelle als Data Scientist im Unternehmen. Was Pilar an- und umtreibt, erzählt sie im Interview.

Astrophysikerin und Datenwissenschaftlerin Maria del Pilar Bonilla Tobar erforscht bei Beiersdorf mithilfe riesiger Datensätze und KI die Geheimnisse Haut.

Pilar, wie bist du auf die Idee gekommen, Astrophysikerin zu werden?

Wissenschaft hat mich schon in der Schule begeistert. Ich wollte immer verstehen, was wohl hinter dem steckt, was wir auf den ersten Blick sehen. Besonders fasziniert hat mich der Planet Jupiter mit seinen markanten, farbenprächtigen Wolkenbändern in Weiß, Rot, Orange, Braun und Gelb. Diese gewaltigen Strukturen bewegen sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, verursachen Turbulenzen und mächtige Stürme. Der bekannteste Sturm – der Große Rote Fleck, ein gigantischer Wirbelsturm größer als die Erde selbst – hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Schon damals war mir klar, dass ich Forscherin werden möchte. Und bis heute liebe ich es, gemeinsam mit meinen Kindern den Nachthimmel zu beobachten, nach den Perseiden Ausschau zu halten oder das Sternbild Kassiopeia zu verfolgen – übrigens der Name meiner kleinen Tochter.

Und wie ging es dann weiter – welchen Weg hast du eingeschlagen?

Zunächst bin ich nach Brasilien gezogen, um dort von 2007 bis 2009 an der Universität UNESP in São Paulo meinen Master in theoretischer und mathematischer Physik abzulegen. Im Anschluss habe ich mich informiert, wo ich meinen Traum, tiefer in die Astrophysik einzusteigen, verwirklichen könnte. Und so kam ich schließlich nach Potsdam – an das renommierte Leibniz-Institut für Astrophysik. Während meines Studiums dort entdeckte ich, wie mittels Programmierung riesige Mengen astronomischer Daten in Modelle verwandelt werden können, die verborgene Muster und Geschichten des Kosmos sichtbar machen.

Du sprichst neben deiner Muttersprache Spanisch fließend Portugiesisch, Deutsch und Englisch. Ist dies wichtig für deinen Beruf?

Es ist gewiss von Vorteil, die jeweilige Sprache eines Landes zu beherrschen, in dem man lebt und arbeitet. Aber in der Forschung ist vor allem Englisch essenziell. Als Data Scientist spielen plötzlich ganz andere Sprachen eine wichtige Rolle, zum Beispiel Programmier-Sprachen wie Python, SQL und R. Dazu kommen dann unterschiedliche Tools wie Power BI, Jira, Confluence, Slack, GitHub und MLOps.

Das klingt für Laien recht kompliziert und kryptisch. Was ist für dich das Reizvolle an Daten?

Es heißt oft, dass in unserer zunehmend digitalisierten Welt das Sammeln und Auswerten von Daten gleichbedeutend seien mit dem Goldschürfen in vergangenen Zeiten. Dem stimme ich vollends zu, und es trifft auch auf die Hautwissenschaft zu. Wer als Unternehmen in der Lage ist, aufgrund einer fundierten Datenbasis wichtige Entscheidungen zu treffen, hat einen deutlichen Wettbewerbsvorteil. Daten helfen, Zusammenhänge und Trends zu erkennen, Produkte und Prozesse zu optimieren. Auch KI-Systeme sind zwingend darauf angewiesen, permanent mit qualitativ hochwertigen, strukturierten Daten trainiert zu werden.

Wie kam es dazu, dass eine an Daten interessierte Astrophysikerin im „Universum“ eines internationalen Kosmetik-Konzerns landet?

Die interessanten Stellen in der universitären Forschung sind im Bereich der Astrophysik leider rar gesät. 2015 wurde ich darauf aufmerksam, dass Beiersdorf erstmals eine Stelle als Research Scientist im Data Science AI/IoT Lab besetzen wollte. Das fand ich spannend, da mir Hautpflege immer wichtig war und NIVEA auch in Kolumbien bereits seit Ende der 1920er-Jahre präsent und eine sehr bekannte Marke ist. Also habe ich mich beworben – und den Job bekommen.

Welche Aufgaben gehörten 2015 zu deiner „Pionierarbeit“ in der Beiersdorf-Forschung?

Ich habe im Bereich Biophysik angefangen und entwickelte neue Ansätze zur Datenanalyse. Dies beinhaltete, relevante Daten aus Hautpflegestudien, die im Unternehmen über die letzten 20 Jahre durchgeführt wurden, zusammenzuführen, zu analysieren und eine geeignete Grundlage für zukünftige KI-Modelle zu schaffen. Solche Modelle standen auch im Mittelpunkt eines Skin-Hackathons, den wir organisiert haben, um neue Talente zu finden. Der Hauptpreis war ein bezahltes Praktikum in unserem Labor – eine echte Win-win-Situation für uns und die Teilnehmenden. Eines der Ergebnisse war die PhotoAgeClock, bei der wir Deep-Learning-Algorithmen eingesetzt haben, um nicht-invasive visuelle Biomarker des Alterns auf Basis der klinischen Fotodaten von Beiersdorf zu entwickeln. Außerdem war ich Projektleiterin der ersten Initiative zur Erkundung von Möglichkeiten, wie maschinelles Lernen die Optimierung von Formulierungen unterstützen kann. Im Rahmen dieser Initiative haben wir die Plattform Uncountable identifiziert, die bis heute unser Partner in diesem Bereich ist. Im Sommer 2021 habe ich dann die Chance ergriffen, die Position als Senior Scientist für Data Science AI/IoT zu übernehmen – und damit zentrale Teile der Data-Science-Verantwortung für eine der weltweit größten Hautstudien namens SKINLY.

Was verbirgt sich genau hinter dieser SKINLY-Studie?

Mit dem digitalen SKINLY Messgerät und der dazugehörigen App können Daten zu mehr als 80 Parametern erfasst werden.

Unser in dieser Form einzigartiges, KI-gesteuertes SKINLY-Projekt läuft bereits seit Ende 2019. Es handelt sich hierbei um eine groß angelegte, weltweite Hautstudie mit Teilnehmenden, die uns ihre Messdaten bereits aus mehr als 60 Ländern zur Verfügung gestellt haben. Ein zentraler Aspekt ist die aktive Beteiligung dieser Personen durch innovative Tools, darunter ein spezielles, digitales Messgerät mit drei unterschiedlichen Lichtquellen und eine dazugehörige App. Die Personen übermitteln bis zu zweimal täglich Daten zu mehr als 80 Parametern. Hierzu zählen neben individuellen Hautmerkmalen wie Falten, Hautton, Teint und Unreinheiten auch Informationen zum individuellen Lebensstil, beispielsweise Schlaf, Ernährung, Menstruationszyklus und Umweltbedingungen, die verwendeten Hautpflegeprodukte sowie äußere Umwelteinflüsse. Die Ergebnisse helfen dabei, unsere Verbraucher*innen und ihre Haut sowie die jeweiligen Einflussfaktoren umfassend zu verstehen und Rückschlüsse für unsere Produktentwicklung zu ziehen. Dabei gilt: Je mehr qualitativ hochwertige Daten vorliegen, desto besser können unsere Wissenschaftler*innen aus ihnen relevantes, umsetzbares neues Wissen für unsere Forschung & Entwicklung und unser Marketing ziehen. Zudem wird das SKINLY-Ökosystem durch den Einsatz von maschinellem Lernen auf der Grundlage von KI mit jeder Messung besser. Bis heute haben mehr als 21.000 Menschen im Alter von 18 bis über 80 Jahren an der SKINLY-Studie teilgenommen. Rund eine Milliarde Datenpunkte wurden gemessen und über 120 Millionen hochwertige Hautbilder generiert. Im Vergleich zu meiner früheren Forschung in der Astrophysik ist dieses Datenvolumen natürlich gering – doch in puncto Hautforschung handelt es sich um einen sehr großen, vielfältigen und faszinierenden Datensatz für Data Scientists mit einer Leidenschaft für Hautpflege – so wie mich.

Vielen Dank für das Gespräch.

INFO-KASTEN:

Was bedeutet Internet of Things (IoT)?

Das IoT verbindet die physische mit der digitalen Welt. Es ermöglicht, dass „smarte“ Geräte nicht nur miteinander, sondern auch mit zentralen Anwendungen und Diensten kommunizieren. Häufig sendet das vernetzte „Ding“ dabei Informationen an eine Cloud. Dort werden die Daten aufbereitet, zugänglich gemacht oder sie dienen als Grundlage für weitere Dienstleistungen.

 

Über die Autorin: Kathrin Erbar

Kathrin nimmt uns mit auf eine Reise in das faszinierende Feld der Forschung und Entwicklung bei Beiersdorf. Bevor sie sich mit der DNA von Beiersdorf beschäftigte, war sie für die Kommunikation zu Themen rund um HR zuständig, darunter Diversity, Führung oder New Work. Davor hatte sie sich ganz den Zahlen verschrieben und war mehrere Jahre lang für die Finanzkommunikation bei Beiersdorf verantwortlich.